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Politische Kindermedizin ist eine Plattform engagierter Kinder- und Jugendmediziner*innen und anderer im Kinder- und Jugendbereich engagierter Berufsgruppen.

Ramadan und Schule – eine kinderärztliche Sicht

Geschrieben am .

In meiner Aufgabe als Ärztin im Gesundheitsdienst in Wien bin ich für Kindergärten und auch Horte zuständig. Von einem der Horte bekam ich die Anfrage zu einem aktuellen Fall: was wir dazu sagen, wenn ein Kind mit 11 Jahren im Ramadan fasten möchte.

Da ich nicht gerne Antworten aus dem Bauch geben will, habe ich recherchiert und mich umgehört.

Die Antworten meiner beruflichen Umgebung kamen rasch „aus dem Bauch heraus“ und gingen von „Fasten ist für Kinder schädlich.“ über „Die Eltern sollen das dem Kind verbieten.“ und „Der Kinderarzt soll entscheiden und bestätigen, ob das Kind fit für Fasten ist.“ bis zu „Wenn sie fasten wollen, dürfen sie am Nachmittag den Hort nicht besuchen. Punkt.“

„Fasten ist für Kinder schädlich.“ - Wirklich?

Im Ramadan müssen Muslime oft mehr als 16 Stunden fasten, also auch nicht trinken. Vom 12. März bis 9. April 2024 wird das zwischen 6:20 und 19:50 sein, also 11,5-13,5 Stunden dauern. Warum liegt das Augenmerk auf dem Trinken?

MR Dr. Ernst Wenger, ÖGKJ: Bei Kindern beträgt der Wasseranteil am Körpergewicht etwa 75 Prozent (bei erwachsenen Frauen z. B. nur 46 Prozent). Deshalb sollen Kinder und Jugendliche regelmäßig über den Tag verteilt ausreichend trinken. Andernfalls drohen Erschöpfung, Kopfschmerzen, Übelkeit, Schwindelgefühl oder sogar ein Kreislaufkollaps. Kinder können noch weniger als Erwachsene ihren Flüssigkeitsbedarf in den Nachtstunden decken und dann für die langen Tage speichern. Wieviel Wasser ein Kind pro Tag braucht, hängt von Alter, Geschlecht, Gewicht, Aktivitäten und Außentemperatur ab.

Die Hauptregel sollte sein, der Körper darf keinen Schaden nehmen. Und ein gesunder Körper tut das auch nicht, sagt Ernährungsmediziner Cem Ekmekcioglu von der Med-Uni Wien im Standard-Interview: Ein junger gesunder Mensch kann zumindest drei Tage ohne Flüssigkeitszufuhr auskommen, unter der Voraussetzung, dass er nicht viel schwitzt. Etwa 13 Stunden ohne Flüssigkeit sind also nicht gefährlich.

Bundesverband der Kinder- und Jugendärzte Deutschland, BVKJ: Neben der Frage des Trinkens droht sich auch das gewöhnliche Schlafverhalten enorm zu verändern, was Auswirkungen auf das Wohlbefinden und die Gesundheit des Kindes hat.

Im Islam sind Kinder vom Fasten, genauso wie Alte, Schwangere, Stillende oder Kranke, ausgenommen. Das körperliche und geistige Wohl des Kindes steht im Mittelpunkt – ob es fastet oder nicht. Der Islam lässt Flexibilitäten bei Kindern und Jugendlichen zu, ermöglicht eine Verschiebung des Fastenzeitraumes oder sogar ein Aussetzen, wenn die schulische Leistung unter dem Fasten leiden sollte.

Das UN-Menschenrecht auf Gesundheit berechtigt jeden Menschen, ein "für ihn erreichbares Höchstmaß an körperlicher und geistiger Gesundheit" zu erlangen. Es hebt zum einen darauf ab, dass die Menschen nicht in ihrer Gesundheit beeinträchtigt werden. Das Recht auf Gesundheit umfasst also zunächst die Freiheit, über die eigene Gesundheit und den eigenen Körper selbst
zu bestimmen.

Nun stehen wir bei der Beantwortung der Frage, ob Fasten für Kinder schädlich ist, eigentlich vor der Frage, ab wann ein Kind in der Lage ist, die Tragweite seiner Entscheidungen selbst bestimmen zu können. Der Schulrat der IGGÖ (Islamische Glaubensgemeinschaft Österreich) schreibt in einer Aussendung 2024: im Islam soll das Kind bzw. der/die Jugendliche seinen/ihren
Körper gut kennen und die Signale des Körpers beachten, und wenn es zu schwer wird, das Fasten abbrechen (Fastentage können auch nach dem Ramadan nachgeholt werden). Bei Sport soll das Kind nur fasten, wenn der Körper keine Warnsignale gibt. Fastende Kinder sind bei Sportwochen oder Schulreisen vom Fastengebot ausgenommen.

Unter diesem Aspekt können wir Kinderärzt*innen uns freuen, wenn Kinder angehalten werden, auf ihren Körper zu achten!

„Die Eltern sollen das dem Kind verbieten.“

Was sagt der Schulrat der IGGÖ: Wer als Muslim/in körperlich reif und geistig gesund ist, für den gilt das Fastengebot des Ramadan. Jedes Kind ist anders in seinem Entwicklungsprozess und körperliche wie gesundheitliche Aspekte sind individuell verschieden. Wenn ein Kind fasten will, so soll es fasten. Es entscheidet gemeinsam mit den Eltern, ob es körperlich und geistig bereit dafür ist zu fasten.

Im Dialog zwischen Eltern und Kind können kindgerechte Lösungen und Alternativen in Bezug auf die Fastenregeln gefunden werden. Bei der Akzeptanz und dem Respekt der individuellen Entscheidung der Familie kann die Mitwirkung der Religionsvertreter wichtig sein.

Die Kinder- und Jugendanwaltschaften KiJA Österreichs empfehlen Folgendes: Wenn Kinder beim Fasten ausdrücklich mitmachen wollen, können Obsorgeberechtigte ihnen anbieten, auf bestimmte Dinge wie z.B. Süßigkeiten und zuckerhaltige Getränke gegenüber gesundem Wasser zu verzichten, gegebenenfalls am Nachmittag keine Nahrung mehr zu sich zu nehmen und gemeinsam mit den Kindern überlegen, wie man die anderen Aspekte des Ramadan (Fasten mit allen Sinnen) verwirklichen kann: - Wie kann man anderen helfen? – Was kann man tun, um ein guter Mensch zu sein? – Gibt es schlechte Gewohnheiten (langes Computerspielen, langes Fernsehen etc.), die man im Ramadan reduzieren möchte?

In diesem Sinne wünsche ich mir für österreichische Familien jeglicher Religion eine (Fasten-)Zeit mit solchen Gesprächen zwischen Eltern/Obsorgeberechtigten und Kindern!

„Der Kinderarzt soll entscheiden und bestätigen, ob das Kind fit für Fasten ist.“

Einfach wäre es zu sagen: Die Obsorgeberechtigten sollen vom betreuenden Kinder facharzt eine Bestätigung bringen, dass das Kind fasten darf. So sind alle „aus dem Schneider“ und müssen sich nichts vorwerfen, wenn ein Kind aufgrund von Fasten einen Kreislaufkollaps erleidet. Man denkt dabei: der behandelnde Kinderarzt, der die Familie gut kennt, weiß, ob dem Kind ein längeres Fasten körperlich und psychisch zugemutet werden kann. Ja, das kann in bestem Fall so sein, aber leider zu selten sind die Kinderärzt:innen wirklich noch Familienbegleiter:innen, in der Regel sind sie bereits mit dem Ausstellen von (für die Eltern kostenpflichtigen) Bestätigungen überlastet und was weit wichtiger ist, sie sind nicht für den innerfamiliären Prozess verantwortlich, sich über die Rituale des Fastengebots auseinanderzusetzen und eine individuelle Lösung für jedes Kind einer Familie zu finden.

Auf Wunsch der Kinder und/oder Obsorgeberechtigten wird und soll ein/e Kinderfacharzt/ärztin gerne über medizinische Aspekte aufklären und zu gesundheitlichen Risiken für das Kind beraten.

„Wenn sie fasten wollen, dürfen sie am Nachmittag den Hort nicht besuchen. Punkt.“

Der Deutsche Kinderschutzbund DKSB rät in einem Positionspapier: Eltern sollen die verantwortlichen Lehrer:innen oder Erzieher:innen darüber informieren, dass ihre Kinder fasten. Sie können dann mit Eltern und Kindern die nötigen Vorkehrungen für die Sicherstellung der
Gesundheit besprechen. leichzeitig sollten Eltern informiert werden, dass Bildungs- und Betreuungseinrichtungen wie Schulen und Horte oder auch Sportvereine verpflichtet sind, einzugreifen, wenn sie gesundheitliche Einschränkungen erkennen. Es muss jedoch auch berücksichtigt werden, dass der Druck der Peergroup auf Kinder heute ausgeprägt ist und es bei einem strikten Verbot des Fastens zu Mobbing mit seinen negativen Folgen für Kinder und Jugendliche kommen kann. Daher ist es notwendig, Kindern starke Argumente an die Hand zu geben, um ihre „Fastenart“ nicht als religiösen Fehltritt interpretieren zu können.

Institutionen (Schulen, Hort, Vereine) sollen in dieser Zeit besonders aufmerksam gegenüber gesundheitlichen Einschränkungen sein und Eltern umgehend informieren, sobald Zeichen von Unwohlsein bei den Kindern erkennbar werden. Sie sollen bei Anzeichen von Erschöpfung oder Dehydrierung (trockener Mund, weiße Haut, Schläfrigkeit, tiefe Atmung durch den Mund und geringes Wasserlassen) die Kinder fragen, ob sie fasten und dann empfehlen, das Fasten zu unterbrechen und Wasser zu trinken. Bei Anhalten der Symptomatik müssen die Eltern ihre Kinder abholen.

Für mich zeigt sich eine gelebte Bildungspartnerschaft, wenn Eltern und Kinder gemeinsam nach einer kindgerechten Lösung suchen und dann gemeinsam mit den Pädagog:innen die gesundheitliche Verantwortung wahrgenommen wird, indem ein transparentes Vorgehen vereinbart wird.

Ist es nicht interessant, dass wir am Ende vor der Frage der Haltung und des Respekts für Entscheidungen von Kindern stehen? Als Politische Kindermedizin möchten wir uns auch für dieses eine der vier Prinzipien der Kinderrechtskonvention einsetzen: Achtung vor der Meinung des Kindes: Alle Kinder sollen als Personen ernst genommen, respektiert und in Entscheidungen einbezogen werden.

Fazit: eine individuell angepasste Entscheidung zum Fasten im Ramadan bzw. eine Vereinbarung kann sowohl die Autonomie der Kinder/Jugendlichen berücksichtigen als auch einer Gesundheitsgefährdung vorbeugen.

Schlussfrage (noch) ohne Antwort: Werden wir, Obsorgeberechtigte wie Pädagog:innen wie Kinderärzt:innen, uns die nötige Zeit nehmen (können), die dafür notwendigen Gespräche zu führen? Wann findet der Wirkfaktor Zeit für ein gesundes Aufwachsen unserer Kinder endlich die entsprechende politische (und finanzielle) Würdigung?

Alle Quellen, die ich gefunden habe, enden mit dem Satz, dem ich mich in meiner Profession anschließen möchte: Wir Kinder und Jugendärzt'*innen wünschen all unseren Patientenfamilien eine gesegnete Fastenzeit, einen gesegneten Ramadan.

 

Christine Fröhlich

Vorstandsmitglied der PKM, MA 15 Gruppe Kinder- und Jugendgesundheit

 

Literatur:
Leitfaden des Schulamts der IGGÖ (Islamische Glaubens-Gemeinschaft in Österreich): www.derislam.at/wp-content/uploads/Ramadan-und-Schule.pdf für ein gesundes Aufwachsen unserer Kinder

Stellungnahme der österreichischen Kinder- und Jugendanwaltschaften: www.kija-sbg.at/fileadmin/user_upload/Ramadan_-_muessen_Kinder_fasten.pdf

Position des Deutschen Kinderschutzbundes DKSB und des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte (2019): Ramadan-Fasten – eine Handreichung zum Umgang mit dem Fasten von Kindern und Jugendlichen | Servicestelle Kinder- und Jugendschutz (servicestelle-ju-
gendschutz.de)

Standard, März 2023: Ernährungsmediziner: "Ramadan-Fasten darf der Gesundheit nicht schaden" - Ernährung - derStandard.at › Gesundheit

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