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Politische Kindermedizin ist eine Plattform engagierter Kinder- und Jugendmediziner*innen und anderer im Kinder- und Jugendbereich engagierter Berufsgruppen.

Medikamenten-Lieferengpässe: Wie lebt es sich damit in der Praxis?

Geschrieben am .

Eine Kassen-Kinderordination in Wien, Donnerstag 23.2.23 abends, 18:15: noch immer 7 Kinder im Wartezimmer. Die kleine Alya, 3 Jahre, kommt mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern, 5 Jahre und 6 Monate, in die Akutordination. Sie fiebert seit 3 Tagen hoch und weint seit heute Nacht untröstlich. Die Diagnose ist leicht. Alya leidet an einer Otitis media. Was dann folgt, ist schwer. Die Jagd nach einem Amoxicillin-Saft. Alyas Mutter kommt aus Somalia, ist erst seit 1 Jahr in Wien, kann wenig Deutsch und ist Alleinerzieherin. Sie ist mit allen 3 Kindern, eins davon schwer krank und eines ein Baby, mit den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs. Sie kann un- möglich durch Wien fahren auf der Suche nach einem passenden Antibiotikum. Die Ordinationsassistentin telefoniert mit sämtlichen Nachtapotheken im Umkreis und auf dem Heimweg der Familie. Bei der 3. Apotheke werden wir fündig, es gibt noch 1 Flascherl Augmentin Saft. Amoxicillin ist schon lange aus.... Währenddessen untersucht
die Ärztin die nächsten wartenden kranken Kinder und hofft, kein Antibiotikum mehr verordnen zu müssen.

Blöderweise kommt doch noch Leona, 6 Jahre, mit Angina und Fieber um 18:30. Bei ihr wurde schon vor 10 Tagen eine Streptokokkenangina diagnostiziert, Ospen Saft war nicht zu finden. Leona hat dann Ceclor 7 Tage in ausreichender Dosierung eingenommen, hatte abgefiebert, aber nach 2 Tagen ging es wieder von vorn los. Es findet sich noch eine Flasche Klacid im Medikamentenschrank der Ordination, Leona kann es mitnehmen, man hofft, dass es wirkt... Ideal ist das nicht...Das Medikamenten-Depot, angelegt vor ein paar Wochen als Notration für die Abendordination, schrumpft.... Es wird nicht gut aufzufüllen sein.

Szenenwechsel: Neuropädiatrische Spezialambulanz Wien.
Die 5-jährige Leila mit Rett-Syndrom und Epilepsie hat mehrere Anfälle, jeden Tag. Eine Umstellung von Levetiracetam auf
Valproat und entsprechende Steigerung war nicht erfolgreich, das Mädchen krampft weiter mehrmals täglich. Eine weitere Umstellung auf Topiramat ist geplant und zur Überbrückung sollte Frisium gegeben werden. Dieses ist in ganz Wien nicht auftreibbar.

Es ist völlig unübersichtlich, welche Antibiotika wo zu erhalten sind. Manche Apotheken und Ärzte haben eine Kooperation und erhalten 1x/Woche Listen über die vorhandenen Bestände, die sich aber täglich ändern. In den Apotheken müssen die PharmazeutInnen weinende Mütter beruhigen und durch ganz Wien und Umgebung telefonieren. Wer ein Auto hat, ist im Vorteil....
Die alleinerziehende, nicht motorisierte, nicht des Deutschen mächtige Mutter und ihr Kind sind im Nachteil....


Die aktuelle Situation erschwert die tägliche Arbeit der ohnehin schon bis zum Anschlag und darüber hinaus belasteten KinderärztInnen und ist absolut unzumutbar für die Familien und vor allem für die Kinder! Und es ist gefährlich! Wer trägt hier die Verantwortung für unterlassene und suboptimale Therapien, für unnötige Nebenwirkungen und für all das Ungemach und die
Mühe und das Leid, das die Kinder und die Familien ertragen müssen?

Hervorgerufen sind diese Umstände durch mangelnde Umsicht, fehlende Voraussicht
und kurzsichtige Preispolitik auf vielen Ebenen. Was wird getan von den politischen Verantwortlichen, um diese Notlage rasch zu beenden?

Könnten Ärztekammer und Apothekerkammer ein zentrales Lager anlegen, oder alle Niedergelassenen über die Bestände ta- gesaktuell informieren, ev. per E-mail oder ganz modern mit einer Website? Die Corona-Pandemie hat gezeigt, was möglich
ist, wenn der politische Wille besteht. Und jetzt sind viele PatientInnen leidtragend, vor allem aber wieder mal die Kinder!

Nicole Grois
Vorstandsmitglied der PKM

Leiterin der AG „Kind-Arm-Krank“

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